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Die "Unabhängigkeitserklärungvon 1992"
- das monetäre Hoheitsrecht des Staates wird an das Bankenssystem abgetreten

- eine historische Dokumentation -

mit Kommentar

von Eckhard Grimmel, Hamburg, im Juli 2004

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Am 21.12.1992 wurde im Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1992, Teil I, S. 2086-2087, eine Änderung des Grundgesetzes verkündet, die am Tage nach der Verkündung in Kraft trat.

Dabei wurde dem Artikel 88 ein zweiter Satz angefügt. Seither lautet dieser Artikel :

"1 Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank.

2 Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet."

Nach den Unterlagen des Parlamentsarchivs des Deutschen Bundestages (Bd. XII 139) geht die Änderung auf eine Initiative der Bundesregierung zurück. Denn der Bundeskanzler sandte am 14.8.1992 gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes einen von der Bundesregierung beschlossenen "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes" (Drucksache 501/92) an den Präsidenten des Bundesrates. In diesem Entwurf wird unter dem entsprechenden Punkt 4 allerdings nur folgende Ergänzung vorgeschlagen: "Ihre Aufgaben und Befugnisse können einer europäischen Zentralbank übertragen werden".

Der Bundesrat hat den o.a. Vorschlag der Bundesregierung in der 646. Sitzung am 25.9.1992 akzeptiert, so dass der Bundeskanzler am 2.10.1992 den Entwurf an den Präsidenten des Deutschen Bundestages weiterleiten konnte.

Daraufhin führte der Bundestag in seiner 110. Sitzung der 12. Wahlperiode am 8.10.1992 eine "Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksache 12/3338)" durch. Dabei wurde interfraktionell vorgeschlagen, den Entwurf an folgende Ausschüsse zu überweisen: Sonderausschuss "Europäische Union", Rechtsausschuss, Auswärtiger Ausschuss, EG-Ausschuss.

Auf der nächsten Stufe hat der Bundestag in der Drucksache 12/3896 vom 1.12.92 eine(n) "Beschlußempfehlung und Bericht des Sonderausschusses 'Europäische Union (Vertrag von Maastricht)' " zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drucksache 12/3338) vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass der o.a. Sonderausschuss den Satz "Ihre Aufgaben und Befugnisse können einer Europäischen Zentralbank übertragen werden" folgendermaßen verändert hat: "Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet" .

Für die Veränderung des Entwurfs der Bundesregierung lieferte der Sonderausschuss folgende Begründung:

1) Artikel 88 GG

Angesichts der Unklarheiten im Hinblick auf das Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages genügt nach Auffassung des Ausschusses die im Gesetzentwurf enthaltene Ergänzung des Artikels 88 GG nicht. Der Ausschuß war der Auffassung, daß eine Übertragung von Befugnissen der Deutschen Bundesbank auf eine Europäische Zentralbank nur in Betracht kommen könne, wenn diese den strengen Kriterien des Maastrichter Vertrages und der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Zentralbank und der Priorität der Geldwertstabilität entspräche. Der Ausschuß beriet daher über verschiedene Änderungsvorschläge.

Der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank hat folgende Fassung des Artikels 88 Satz 2 GG vorgeschlagen:

„Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Bundesbank können im Rahmen einer Europäischen Union einem unabhängigen und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichteten System der Zentralbanken übertragen werden."

Der Vorschlag des Rechtsausschusses lautet:

„Ihre Aufgaben und Befugnisse können einer unabhängigen und vorrangig dem Ziel der Preisstabilität verpflichteten Europäischen Zentralbank übertragen werden".

Die Fraktion der SPD schlug folgende Fassung des Artikels 88 Satz 2 GG vor:

„Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union einem Europäischen Zentralbanksystem übertragen werden."

Die schließlich vom Ausschuß einstimmig angenommene Formulierung stellt zunächst klar, daß die Übertragung von Befugnissen der Deutschen Bundesbank nur im Rahmen der Europäischen Union zulässig ist. Zugleich wird Vorsorge dafür getroffen, daß die im Zusammenhang mit der Europäischen Union geschaffene Europäische Zentralbank unabhängig und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet sein muß. Damit wird einem wesentlichen politischen Anliegen der deutschen Seite, das mit der Frage der Übertragung von Hoheitsrechten gerade im Währungsbereich verbunden war, Rechnung getragen.

Der Ausschuß stellte fest, daß die von ihm befürwortete Formulierung des Artikels 88 Satz 2 GG keine Auswirkungen auf die gegenwärtige Rechtsstellung der Deutschen Bundesbank hat.

In der zweiten und dritten Beratung des Bundestages am 2.12.1992 (12. Wahlperiode, 126. Sitzung) wurde ohne weitere inhaltliche Diskussion der Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung auf Drucksache 12/3896 in namentlicher Abstimmung mit

547 Ja-Stimmen gegen

17 Nein-Stimmen bei

1 Enthaltung

angenommen.

Schließlich hat auch der Bundesrat in seiner 650. Sitzung am 18.12.1992 einstimmig beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 2.12.1992 verabschiedeten Gesetz zuzustimmen.

Durch die Ergänzung des Artikels 88 des Grundgesetzes im Jahre 1992 hat der Gesetzgeber der Bundesrepublik definitiv das monetäre Hoheitsrecht des Staates an das Bankensystem (Bundesbank plus Geschäftsbanken) abgetreten. Denn das Wort „unabhängig" beinhaltet nichts anderes als „unabhängig vom Staat". Somit wurde die zwar schon vorher praktizierte Autonomie des Bankensystems nun auch grundrechtlich abgesegnet. Oder anders ausgedrückt: Der Gesetzgeber hat seinen Staat monetär entmachtet und das Bankensystem ermächtigt, die monetäre Herrschaft auszuüben.

Beachtlicherweise hatten zunächst weder die CDU/FDP-Bundesregierung noch die SPD-Fraktion des Bundestages das Wort „unabhängig" vorgeschlagen, dieses aber schließlich auf Empfehlung des Sonderausschusses „Europäische Union" toleriert, denn unter den 17 Nein-Stimmen waren nur 2 SPD-Stimmen und keine CDU/FDP-Stimme.

Wenn man bedenkt, dass das Geld ein öffentliches Gut höchsten Ranges ist, dann ist die Frage zu stellen, ob die grundrechtliche „Unabhängigkeitserklärung" für das Bankensystem überhaupt zulässig ist. Denn nach Artikel 19 Absatz 2 des Grundgesetzes darf ein Grundrecht in keinem Fall in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

Aber der Staat, d.h. das Staatsvolk, hat diesen unfassbaren Vorgang nicht einmal bemerkt &endash; und die meisten Volksvertreter in Bundestag und Bundesrat vielleicht auch nicht. Denn eine öffentliche Diskussion über die Alternative, nämlich die Verstaatlichung des Geldwesens (zum Beispiel nach freiwirtschaftlichem Modell), fand jedenfalls nicht statt.

Und so eskaliert die Verschuldung von Produzenten, Konsumenten und Staatsorganen beim Bankensystem immer mehr &endash; wahrscheinlich bis zum Zusammenbruch des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gefüges &endash; sei es in Deutschland, Europa und anderswo. Denn bisher gibt es keinen Staat auf der Erde, der die monetäre Hoheit hat. Aber der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland hätte im Jahre 1992 die Chance gehabt, ein weltweit sichtbares legislatives Zeichen für die monetäre Befreiung eines Staates zu setzen.

 

( nach oben) (Gästebuch)

Die 30-Stunden-Woche für Europa - Im 21. Jahrhundert stehen Nachhaltigkeit und die gerechte Verteilung von Arbeit und Einkommen auf den Plan, von Mohssen Massarrat (pdf)

Wirtschaftliche Triebkräfte von Rüstung und Krieg, Helmut Creutz (pdf.version)

Das System dynamischen Geldes, Geld macht Sinn-lich! - Ist Geld Sinn-los? (pdf-Datei), Wolfgang Berger

Bernd Senf, Fließendes Geld und Heilung des sozialen Organismus (pdf)


siehe auch EMANZIPATION HUMANUM


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