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Falschdarstellung,
i
nternationale Beziehungen und der Irak (1990-2003)
als Beispiel für eine bewusst demontierte Weltordnung

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von H.C. Graf Sponeck,

UN Humanitarian Coordinator for Iraq (1998-2000)

Loccum 2004

 

Am 2. August 1990 besetzten die Truppen von Saddam Hussein Kuwait. Der UNO Sicherheitsrat im Namen der Völkergemeinschaft reagierte schnell. Der Irak wurde mit den umfassensten Wirtschaftssanktionen belegt, die je gegen ein Land ausgesprochen worden waren.

Der Golf Krieg von 1991 zwang die irakische Regierung sich aus Kuwait zurückzuziehen. Die Bedingungen der Resolution 661 waren damit erfüllt. Die Sanktionen wurden dennoch nicht aufgehoben. Der Sicherheitsrat entschied sich in der neuen Resolution 687 im April 1991, die Abrüstung aller Massenvernichtungswaffen im Irak zu fordern. Die Aufhebung der Sanktionen wurde von der Erfüllung dieser weiteren Forderung abhängig gemacht.

Bis zu der anglo-amerikanischen Invasion des Iraks im März 2003 wurden die Wirtschaftssanktionen gegen den Irak nicht aufgehoben. Der Sicherheitsrat war sich uneinig, ob der Irak die Abrüstungsbedingungen im Sinne der Resolution 687 eingehalten hatte. Dreizehn Jahre solcher Sanktionen haben dem irakischen Volk schwere Schäden zugefügt. Diktatur und Sanktionen erklären die menschliche Katastrophe, die durch den Krieg von 2003 intensiviert worden ist.

Vier Thesen, zwei Fragen und zwei Antworten sollen einen Beitrag liefern zu dem Thema: Internationale Irak Politik in den Jahren der Sanktionen - ein Baustein zur Demontage der Weltordnung.

These 1: Gezielte und geplante Falschdarstellung des Standes der irakischen Abrüstung ermöglichten die Aufrechterhaltung und Rechtfertigung der Wirtschaftssanktionen. Falschdarstellung der Situation im Irak war der rote Faden in den Jahren 1990-2003.

These 2: Durch Falschdarstellung wurde das Völkerrecht ignoriert und gebrochen, die Vereinten Na-tionen missbraucht und geschwächt und die Weltöffentlichkeit irregeführt. Der unmittelbare Preis für diese Falschdarstellung wurde von dem irakischen Volk gezahlt.

These 3: Einem politisch geschwächten Irak wurde der Dialog mit dem UNO Sicherheitsrat verwehrt. Dem Irak und der internationalen Gemeinschaft wurde damit die Möglichkeit genommen eine friedliche Beilegung des Konflikts zu ergründen.

These 4: Mitglieder des Sicherheitsrats waren sich von Anfang an über die Folgen einer falschen Sanktionspolitik im klaren und waren über die bewusste Falschdarstellung informiert.

Diese vier Thesen führen zu zwei Fragen, die im Interesse der Rückkehr zu einer Weltordnung beantwortet werden müssen:

1. Wie konnte es zu dieser Irak Entwicklung kommen?

2. Wie kann eine Wiederholung anderswo verhindert werden?

Vor der Beantwortung dieser beiden Fragen seien Beispiele für Falschdarstellung der Irak Situationaus der Zeit 1990-2003 angeführt und der Hinweis gegeben, dass Aufdeckung der politischen Unehrlichkeit und des Falschspiels nicht ausreichend sein können, um eine wirksame Entgegnung zu erreichen!

Falschdarstellungen gab es in Form von Halbwahrheiten,der Auslassung von Fakten,Verdrehungen, Unwahrheiten und Fälschungen:

Halbwahrheiten:

„Die Lokalbehörden des von Saddam Hussein unabhängigen kurdischen Nordens haben das Öl-für-Nahrungsmittelprogramm erfolgreicher nützten können, als die Regierung in Baghdad.

Indikatoren wie Ernährung, Sterblichkeit und Bildung zeigen in der Tat, dass das irakische Kurdistan gute Fortschritte in den Jahren des humanitären Programms machte. Der Hinweis der USA und Englands, dass das Programm dort ‚erfolgreicher' war, ist nicht falsch. Falsch war die Schlussfolgerung, dass dies ausschliesslich mit dem Diktator Saddam Hussein zu tun hatte.

Im Norden konnte die UNO viele der Sanktionsbestimmungen brechen, es gab mehr Ölgeld pro Kopf der Bevölkerung, mehr Nicht-Staatliche Organisationen betätigten sich im Norden, der Handel und Schmuggel mit den Nachbarländern florierte, das Klima war gemässigter und damit ergab sich ein anderes Krankheitsbild.

Auslassung von Fakten:

Die Regierungen der USA und Englands blockierten in den Jahren des Öl-für-Nahrungsmittelprogramms in manchen Phasen lebenswichtige Güter bis zu $ 5 Milliarden. Ein solches Volumen war grösser als das Budget in den meisten Jahren des humanitären Programms. Dies geschah, obwohl ein Team von mehreren Hundert UNO Beobachtern im Irak, die Bestätigung, dass Waren und Gerät in die richtigen Hände kamen, ohne Schwierigkeiten hätten erteilen können.

Dieses Blockieren lebenswichtiger Güter hatte schwerwiegende Folgen für das Leben der irakischen Bevölkerung. Über diese Tatsache ist in den Berichten der beiden Regierungen nichts zu lesen.

Verdrehungen der Tatsachen:

Die USA und England, in den ersten Jahren der Sanktionen mit Teilnahme Frankreichs, etablierte im Irak nördlich des 36. Breitengrads und südlich des 33. Breitengrads zwei Flugverbotszonen , in die nur die Luftwaffen dieser Länder einfliegen durften. Der UNO Sicherheitsrat hatte hierzu kein Mandat erteilt. In Washington und London wurde allerdings erklärt, dass man auf Grund verschiedener UNO Resolutionen (z.B. Resolution 688 vom Jahr 1991) das Recht für diese Flugverbotszonen habe. Sie dienten, so wurde in Washington und London gesagt, zum Schutz der dort lebenden Kurden und der Shi'itischen Gemeinde.

Nach den Luftangriffen vom Dezember 1998 (Operation Desert Fox) wurde das Verhalten der amerikanischen und englischen Luftwaffen in diesen Zonen immer aggressiever. Die Zahl der zivilen Opfer erhöhte sich. Allein im Jahr 1999 wurden 144 Bürger durch Luftangriffe getötet und 446 verwundet. Die Präsenz der ausländischen Luftwaffen im irakischen Luftraum hatte mit Schutz lokaler Gruppen nichts zu tun. Sie war völkerrechtswidrig. In den Jahren 2002 und 2003 diente sie schliesslich, nur der Vorbereitung des Krieges im März 2003.

Unwahrheiten:

Der Kriegsgang der anglo-amerikanischen Koaltion im März 2003 wurde kontinuierlich mit Unwahrheiten aufgebaut. Meilensteine dieses Prozesses der unwahren Behauptungen waren u.a. die Berichte vom 12. September und 26. September 2002 der beiden Regierungen und der Aussagen des amerikanischen Aussenminister Powell vom 5. Februar 2003 vor dem Sicherheitsrat, dass der Irak ernstzunehmende Massenvernichtswaffen habe und weiter entwickele. Von diesen Behauptungen hat sich nichts bewahrheitet. Sie waren weitgehend erfunden.

Während der Sanktionszeit wurde von Washington und London behauptet, dass die irakische Regierung Nahrungsmittel, Medikamente und andere lebenswichtige Waren zurückbehalte oder mit Profit im In-und Ausland verkaufe. Dies war eine unwahre Aussage. Weder das Welternährungsprogramm noch die Weltgesundheitsorganisation noch die UNO selber haben diese bestätigen können. Das UNO System ist mit der Verteilung der Waren im Irak durch die Regierung zufrieden gewesen.

Fälschungen:

Die Regierungen der USA und Englands haben jede Gelegenheit genutzt, um der Öffentlichkeit glaubhaft zu machen, dass der Irak unter Saddam Hussein an nuklearen Massenvernichtungswaffen arbeite. In diesem Zusammenhang wurde der Kauf von Uranium (yellow cake) in der Republik Niger mit einem Dokument als Beweis dargestellt. Dieses Dokument wurde von der Internationalen Atombehörde (IAEA) sehr schnell als Fälschung erkannt.

Die Weltöffentlichkeit konnte sich auf dieser gezielt entwickelten und gefälschten Informationsbasis kein Bild der wirklichen Lage im Irak und dem Grad der Gefährlichkeit der Regierung von Saddam Hussein machen. Es ist eine ernstzunehmende Tatsache, dass der UNO Sicherheitsrat in dieser Hinsicht sehr viel mehr wusste, aber nicht mit der Entschlossenheit reagierte, die notwendig war, um die Regierungen der USA und Englands von ihrem Vorhaben abzubringen, das Regime von Saddam Hussein mit Gewalt zu entfernen.

Die Aufrechterhaltung der Wirtschaftssanktionen wurde nicht nur durch Falschdarstellung und Irreführung von Regierungen, Sicherheitsrat und Öffentlichkeit ermöglicht. Hinzu kamen eine bewusst ungenügende Mittelbereitstellung für das Öl-für-Nahrungsmittel Programm, besonders in den ersten Jahren, die Abzweigung von 30% dieser ungenügenden Mittel an die Kompensierungskommission der UNO (UNCC) in Genf, eine weitgreifende Bürokratisierung des Warenbestellungsprozesses, durch die lebensnotwendige Güter nur mit grossen Verspätungen im Irak ankamen und eine fragmentierte Durchführung der verschiedenen Sanktionsprogramme, bei der UNO Abteilungen nicht miteinander kooperierten.

Das Endprodukt, wie in der These zwei angedeutet: Das Völkerrecht wurde gebrochen, die UNO geschwächt, die Öffentlichkeit irregeführt und das irakische Volk bestraft für etwas, was es nicht getan hatte.

Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen?

Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Globalisierung und Pragmatismus, der immer weniger beeinflusst wird von Ethik und Grundwerten wie politische Wahrhaftigkeit, Integrität und Gemeinschaftssinn, haben eine Rolle gespielt. Zentren der Macht haben dies ausgenutzt, um ihre Macht weiter auszubauen. Der kanadische Aussenminister, Lloyd Axworthy, erinnerte in diesem Zusammenhang den UNO Sicherheitsrat im Jahre 1999 daran, dass er im Interesse der internationalen Gemeinschaft und nicht im Interesse einzelner Nationalstaaten zu handeln habe. Im gleichen Jahr kam der damalige Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses des amerikanischen Senats, Jesse Helms, zu Besuch in den Sicherheitsrat und bemerkte, dass die USA die UNO stärken würden, wenn es in ihrem Interesse läge und das Gegenteil tun würden, wenn es nicht so sei. Dieser politische Ansatz ist wohl ein Hauptfaktor für die Erklärung, wie es zu einer solchen Entwicklung der Irak Politik kommen konnte. Zwei relevante Strategie Dokumente, die das Helms Konzept konkretisieren, sind in den Jahren 2001 und 2002 von amerikanischer Seite erschienen: ‚Strategie für das 21. Jahrhundert' herausgegeben 2001 von einer Gruppe einflussreicher konservativer US Politiker und eine ‚Nationale Sicherheitsstrategie', die US Präsident Bush ein Jahr später bekannt gab.

Machterhaltung auf alle Kosten ist die Devise. Auf Grund der erwähnten Falschdarstellungen der Irak Realität, ist es nicht abwegig anzunehmen, dass damit ‚Unwahrheit' Teil der offiziellen Politik der Regierung in Washington geworden ist.

Ständige Mitglieder des Sicherheitsrats haben gegenüber den für zwei Jahre gewählten zeitweiligen Mitgliedern den Vorteil langjähriger Erfahrungen mit Sonderfragen, wie Sanktionen gegen den Irak . Sie hatten sich von Anfang an der Irak Diskussion beteiligt, sie meistens angeführt und damit die Irak Politik entwickelt. Damit wussten sie mehr, als andere und hatten damit die beste Entscheidungsbasis. Die Regierungen in Washington und London haben dies kontinuierlich zu ihrem Vorteil genutzt. Für sie, besonders für die US Regierung, wurden internationale Einrichtungen wie die Vereinten Nationen zu einem Handwerkskasten, dessen Werkzeuge man benutzte, wie man sie brauchte. Anders gesagt, die UNO wurde immer mehr zu einer Dienstleistungseinrichtung. Ausserdem handelten die USA nach dem Motto: der Auftrag entscheidet die Partnerschaft. Dies war kein Geheimnis, sondern wurde offen zugegeben.

Wie kann eine Wiederholung anderswo verhindert werden?

In der Beantwortung dieser Frage muss Neuland betreten werden, auch wenn dies naiv erscheinen mag. Es müssen z.B. Wege gefunden werden, der Politik der Schnellösungen, der sogenannten „quick fixes" entgegenzuwirken. Normative Werte, wie Gerechtigkeit, Toleranz und Gleichberechtigung, in der UNO Charta bereits enthalten, müssen echter Teil der internationalen Beziehungen werden. Der Mut zur „weichen Alternative" zur gegenwaertigen Bekämpfung des Terrorismus, d.h. Ursachenbekämpfung muss entwickelt werden. Hierzu gehören Armutsbekämpfung und Einhaltung der Menschenrechte. Es geht um globale menschliche Sicherheit, nicht um unilaterale militärische Überlegenheit. Eine Sicherheitsstrategie für das 21. Jahrhundert kann daher nur eine multilaterale, nicht eine nationale Strategie sein. Wenn nationale Interessen mit internationalen Zielen übereinstimmen, ist politische Falschinformation nicht mehr von Wert.

Die Beantwortung der Frage wie eine Wiederholung einer menschlichen Katastrophe, wie sie im Irak unter Sanktionen und Diktatur entstanden ist, in Zukunft verhindert werden kann, muss Bezug nehmen auf die Forderung nach einer grundsaetzlichen Reform der UNO. Messbare anstelle der gegenwaertig auslegbaren Konsensresolutionen; Debatten, an denen alle Betroffenen teilnehmen koennen; Pflicht des Sicherheitsrats zur kontinuierlichen Aufsicht ueber die Folgen der eigenen Politik muessen Teil neuer Grundregeln werden. Fallrecht sollte eingefuehrt werden, um damit die Erfahrungen in ähnlichen Situationen, z. B. bei der Durchfuehrung von Sanktionen in den Entscheidungsprozess einbeziehen zu koennen.

Die Tatsache, dass der Sicherheitsrat sowohl legislative als auch rechtliche und exekutive Funktionen ausuebt, stellt einen erheblichen Interessenkonflikt dar. Es ist lange ueberfällig, dass eine klare Aufgabenteilung zwischen dem Sicherheitsrat, dem Internationalen Gerichsthof und dem Sekretariat definiert wird, um diesen Konflikt zu beenden.

Das Netz der UNO Reformen muss allerdings noch weiter ausgebreitet werden. Eine Reform des Sicherheitsrats darf sich nicht nur auf eine Erweiterung der Mitgliedschaft von Regierungen beschränken. In einem neu strukturierten Sicherheitsrat, der erweitert werden muss, müssen neben Regierungsvertretern auch internationale nichtstaatliche Organisationen vertreten sein. Diskussionswert erscheint auch der Gedanke, eine Gruppe von international anerkannten Persönlichkeiten in die Struktur des Sicherheitsrats einzubauen.

Eine solche Reform wird zunächst von den Tagesmächten als utopisch zurückgewiesen werden. Mit einem solchen Ansatz könnte aber der Unipolarität, die gegenwärtig die Weltlage bedroht, Einhalt geboten und der Multipolarität, die für Weltsicherheit gebraucht wird, die Wege geebnet werden.

Auf nationaler Ebene müsste, durch politische Bildung, die Bevölkerung einzelner Länder in die Lage versetzt werden, von gewählten Politikern fordern zu können, dass diese durch ihre Wahl eine Rechenschaftsverpflichtung eingegangen sind. Erwiesene Nicht-Einhaltung müsste zu schneller Amtsenthebung führen.

Parallel zu Programmen der politischen Bildung sollten durch breite Öffentlichkeitsarbeit von Kirchen, Schulen, und anderen öffentlichen Einrichtungen, Programme zur Rückerinnerung an Ethik, Grundwerte und Glauben gefördert werden.

Ohne Zweifel wird dies ein langer Weg sein, auf dem immer wieder diejenigen, die im Besitz einer Bildung sind, es als eine Verpflichtung ansehen müssen, sich in diesem Sinne besonders einzusetzen.

( nach oben) (Gästebuch)


siehe auch EMANZIPATION HUMANUM


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