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Kongress 2000 - Ende des globalen Kapitalismus

Das Neue Historische Projekt

20. und 21. Mai 2000

Georg-August-Universität, Göttingen, Zentrales Hörsaal-Gebäude

http://www.kongress2000.de/

 

In Zukunft zusammen. Das Neue Historische Projekt.

 

Am 20. und 21. Mai 2000 findet an der Universität Göttingen der sozialwissenschaftliche Kongress 2000 mit dem Titel "Ende des globalen Kapitalismus. Das Neue Historische Projekt" statt.

Der Titel des Kongresses ist in diesem Fall Programm. Sechs namhafte Referent(inn)en, darunter drei aus Lateinamerika, werden mit den Kongressbesuchenden über Gegenbewegungen und mögliche Alternativen zum globalen Kapitalismus diskutieren.

Trotz unterschiedlicher politischer Ansätze eint die Referent(inn)en ihre Kritik am Neoliberalismus. Neben Prof. Dr. Heinz Dieterich und Prof. Dr. Arno Peters werden u.a. Prof. Dr. Maria Mies und der Herausgeber der Zeitschrift konkret, Hermann L. Gremliza, ihre Positionen darlegen.

Prof. Dr. Nildo Ouriques (Arbeiterpartei Brasiliens PT) und Dr. Raimundo Franco Parellada, Kuba, referieren über die Bedeutung eines Neuen Historischen Projekts der Moderne als Alternative zum globalen Kapitalismus aus der Sicht lateinamerikanischer Länder.

Neben der theoretischen Debatte ist der praktische Schwerpunkt des Kongress 2000 die Vernetzung von politisch, kulturell und sozial engagierten Basisgruppen über das Internet.

Es muss doch was anderes geben!

Der Göttinger Verein "Perspektive unabhängige Kommunikation (puk)" mit seinem Internet-Projekt für Politik und Kultur (www.puk.de) besteht seit nunmehr zwei Jahren.

Inhaltlicher Schwerpunkt bei puk ist die Diskussion um Auswirkungen des neoliberalen globalen Kapitalismus sowie um die Entwicklung gesellschaftlicher Alternativen zu diesem System, das für die meisten Menschen weltweit langfristig keine andere Perspektive zu bieten hat als Vereinzelung, Fremdbestimmung, Armut und Gewalt.

puk betrachtet es daher als historische Notwendigkeit, dem global organisierten Kapitalismus eine global organisierte Gegenbewegung entgegenzusetzen. Eine Bewegung von unten, basisdemokratisch organisiert, deren Ziele und Werte den Bestrebungen der multinationalen Konzerne und ihrer Interessenvertretungen wie G7, OECD, IWF oder WTO zutiefst widersprechen:

Grenzüberschreitende Solidarität der Lohnabhängigen und Erwerbslosen statt nationaler Konkurrenz um Standortvorteile und Spaltung nach Geschlechtern und Hautfarbe.

Eintreten für gleiche Möglichkeiten und Voraussetzungen für alle statt Privatisierung und Kommerzialisierung grundlegender gesellschaftlicher Bereiche wie Bildung, Kultur oder medizinische Versorgung.

Basisdemokratische Mitbestimmung bei politischen Entscheidungen, im Arbeitsleben, in Schule und Universität statt Fremdbestimmung in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen.

Freiheit und Unabhängigkeit von Bildung und Kultur statt Bewertung und Förderung nach Kriterien marktwirtschaftlicher Verwertbarkeit.

Einbeziehung aller gesellschaftlich relevanten Sektoren bei der Entscheidung über die Nutzung und ethische Vertretbarkeit neuer Produktionsmethoden und Technologien wie Atomenergie, Kernfusion, Gen- und Nanotechnologie.

Schaffung von offenen, unzensierten Medien, die allen gesellschaftlichen Sektoren/Basisgruppierungen uneingeschränkt zugänglich und frei von staatlicher und kommerzieller Einflussnahme zur Verfügung stehen.

Diese Forderungen sind in ihrer Gesamtheit im Rahmen des bestehenden Systems nicht verwirklichbar. Aber es besteht mit der Kritik unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen an der uneingeschränkten Durchsetzungsgewalt des neoliberalen Kapitalismus eine gemeinsame Basis, auf der Neues entwickelt werden kann.

Die (Alp)Träume des Neoliberalismus

Wie sich die Interessenvertretungen der transnationalen Konzerne die Zukunft einer globalen Gesellschaft vorstellen, zeigen beispielhaft einige Regelungen, die ursprünglich für das "Multilaterale Investitionsabkommen" (MAI) vorgesehen waren: Für das MAI war z.B. erstmals die rechtliche Gleichstellung von "Investoren" und Staaten geplant. Für Investoren sollte damit die Möglichkeit bestehen, Staaten bei Vorliegen von "Investitionshindernissen" zu verklagen. Die Definition von "Investitionshindernissen" war dabei sehr weit gefasst. Darunter fielen beispielsweise sämtliche Importzölle, die einheimische Industrien vor Konkurrenz aus dem Ausland bisher schützten, aber auch Umweltschutzrichtlinien und Sozialpläne für Unternehmen.

Das Vertragswerk des MAI ist mittlerweile (auch aufgrund weltweiter Proteste) vom Tisch, nicht aber die in ihm vorgesehenen Regelungen, die nun in anderer Form für die "Liberalisierung des Welthandels" durchgesetzt werden sollen. Spiegelbilder dieser weder Moral noch Ethik berücksichtigenden "Liberalisierung" (= Handlungsfreiheit) der Wirtschaft sind der weitgehende Abbau von Umwelt- und Sozialstandards sowie demokratischen Rechten, der Verlust kultureller Vielfalt, die Patentierung von Lebewesen und Pflanzen zur kommerziellen Verwertung und die militärische Intervention zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Dies gilt es zu verhindern. Und dies wird immer mehr Menschen bewusst.

Die theoretische Grundlage des Neuen Historischen Projekts Heinz Dieterich unterbreitet zusammen mit fünf Wissenschaftlern und Autoren aus unterschiedlichen Fachgebieten (u.a. Sozialwissenschaften, Philosophie/Ethik und Mathematik, Physik) einen Vorschlag für eine Alternative zum System des globalen Kapitalismus. Das gemeinsame Buch "Fin del capitalismo global - El nuevo Proyecto Histórico" (Ende des globalen Kapitalismus - Das Neue Historische Projekt, [Einleitung]) beinhaltet eine neue soziale Utopie, in der Ausbeutung, Herrschaft und Entfremdung als gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen aufhebbar sind. Die ökonomische Grundlage dieser neuen Gesellschaft könnte auf dem vom Bremer Historiker, Geograf und Ökonom Arno Peters vorgeschlagenen "Äquivalenz-Prinzip als Grundlage der Global-Ökonomie" beruhen.

Peters stellt in den Mittelpunkt seiner Überlegungen den äquivalenten (gleichwertigen) Tausch von Gütern und Dienstleistungen. Damit dieser Tausch auch tatsächlich gerecht ist und kein Tauschpartner Vorteile auf Kosten des anderen erwirtschaften kann, wie es in der heutigen kapitalistischen Weltwirtschaft der Fall ist, bedarf es eines wirklich objektiven Wertmaßstabs. Dieser objektive Maßstab ist nach Peters die Arbeitszeit, die in einem bestimmten Produkt enthalten oder zur Erbringung einer Dienstleistung erforderlich ist. Denn bisher erfolgte weltweit der Austausch auf Grundlage der Preise und nicht auf Basis der tatsächlichen Werte.

Mit der Computer-Technologie und den Methoden der Statistik sind heute erstmals die Mittel vorhanden, den objektiven Wert einer Ware oder Dienstleistung zu ermitteln. Der gleichwertige Austausch auf Grundlage der Arbeitszeit bezieht z.B. auch jene gesellschaftlichen Bereiche ein, die im Kapitalismus bisher nicht entlohnt wurden (wie Kindererziehung, Pflege- und Hausarbeit). Gleichzeitig ist es dadurch aber auch möglich, Importe und Exporte nach verschiedenen Kategorien zu bewerten: In der heutigen kapitalistischen Weltwirtschaft wird der Handel nur auf Basis von Preisen getätigt. Durch die Möglichkeit, den Handel nun zusätzlich auch auf Basis der Arbeitszeiten zu bewerten, könnten in einer Übergangsphase beide Berechnungssysteme nebeneinander existieren und sind miteinander austauschbar. Dies schafft den Raum für regionale Wirtschaftsstrukturen, die nach innen mit einem gänzlich anderen, nicht-kapitalistischen Wirtschaftsprinzip funktionieren, aber dennoch nicht vom Weltmarkt abgekoppelt sind.

Die "Flecken des Widerstands" verbinden!

Neben einer gesellschaftsverändernden Theorie ist natürlich auch eine gesellschaftsverändernde Praxis erforderlich, die einer Utopie zur Wirklichkeit verhilft, in dem sie die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse berücksichtigt und strategisch handelt. Subcomandante Marcos der Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN bezeichnete den weltweit aufflackernden Widerstand gegen den Neoliberalismus als "bolsas de resistencia" - Flecken des Widerstands auf der Weltkarte des globalen Kapitalismus. Dieser Widerstand ist räumlich und zeitlich voneinander getrennt, es fehlt ihm zur Zeit eine gemeinsam definierte Stoßrichtung. Doch hier kann kann die Theorie des Neuen Historischen Projekts zur gesellschaftsverändernden Praxis führen. Ähnlich wie ein Magnetfeld diffus und unorganisiert nebeneinander existierende Eisenspäne in ihrer Position ordnet und in eine Richtung lenkt, besitzt das Neue Historische Projekt das Potenzial, Bewegungen zu vereinheitlichen und zu organisieren.

Ein grenzübergreifender Zusammenschluss von Ländern Lateinamerikas, wirtschaftlich auf Grundlage des Äquivalenz-Prinzips und politisch als teilhabende, alle gesellschaftlichen Sektoren einbeziehende Demokratie würde gewaltige Auswirkungen nach sich ziehen.

Innerhalb dieser regionalen Organisierung ließe sich weitgehende soziale Gerechtigkeit verwirklichen, denn die Arbeit der Menschen käme nicht mehr den wenigen Reichen und Besitzenden zugute, sondern der ganzen Gesellschaft. Die Aufhebung sozialer Ungerechtigkeit, der Ausbau des Bildungs- und Sozialsystems und der Aufbau basisorientierter Entscheidungsstrukturen hätte auf andere Länder Lateinamerikas und auch weltweit starke Ausstrahlung. Es wird dann an jedem einzelnen in den Industrienationen lebenden Menschen liegen, ob er/sie bereit ist, die Ungerechtigkeit im Welthandel zu Lasten der armen Länder weiterhin zu dulden und moralisch mitzuverantworten, die "Jahr für Jahr etwa so viele Menschen verhungern [lässt], wie die beiden Weltkriege insgesamt Opfer forderten". (Arno Peters)

In Zukunft zusammen!

Das "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen" des Kommunistischen Manifests von Marx/Engels erhält mit dem Äquivalenz-Prinzip eine neue ökonomische Grundlage. Untrennbar mit der Gleichbehandlung aller Menschen auf ökonomischer Ebene ist aber auch die Gleichbehandlung und -berechtigung auf der politischen Ebene verbunden. Dies erfordert basisdemokratische Entscheidungsstrukturen in Bildung, Kultur und am Arbeitsplatz sowie ungehinderten Zugang aller gesellschaftlichen Gruppierungen zu den Medien. Die Überwindung der im nationalstaatlichen Egoismus zentrierten Marktwirtschaft durch die Äquivalenz-Ökonomie ist und bleibt Voraussetzung für die Entwicklung einer neuen basisdemokratischen Gesellschaft ohne Ausbeutung. Sie alleine schafft jedoch noch keine Gesellschaft, die frei ist von Herrschaft und Entfremdung. Zusammen mit der Veränderung der ökonomischen Grundlagen gilt es, auch eine neue Ethik zu entwickeln, die den Menschen, seine Kultur(en) und seine Beziehung zur Natur in den Mittelpunkt stellt, und nicht das Streben nach Profiten zum Nutzen weniger.

Unabdingbare Voraussetzung für positive Veränderung ist deshalb, dass diese durch die Menschen selbst moralisch gewollt, theoretisch verstanden und praktisch herbeigeführt wird.

Deshalb bedarf es einer umfassenden Aufklärung der Gesellschaft und einer umfassenden, permanenten Beteiligung am politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess. Heute muss es in erster Linie darum gehen, einer gesellschaftsverändernden Theorie zum Durchbruch zu verhelfen.

Der am 20. und 21. Mai 2000 in Göttingen unter dem Titel "Ende des globalen Kapitalismus. Das Neue Historische Projekt." stattfindende Kongress 2000 soll dazu beitragen, die Diskussion über das Neue Historische Projekt in der Bundesrepublik zu beginnen und in die Gesellschaft zu tragen.

Perspektive unabhängige Kommunikation Kongressen ist es im allgemeinen zu eigen, dass nach deren Ende meistens auch die Diskussionen beendet sind. Deshalb wird dieser Kongress bewusst als Auftakt einer Diskussion betrachtet, die anschließend über das Internet bei www.puk.de (Politik und Kultur) strukturiert fortgeführt werden kann.

Die nicht-kommerzielle Online-Community (Gemeinschaft) des Vereins "Perspektive unabhängige Kommunikation" (puk) bietet dazu die technischen Voraussetzungen.

puk ist ein Medium im Internet, über das eine internationale Diskussion und Vernetzung herbeigeführt werden kann: weltweit wird engagierten Basisinitiativen die Möglichkeit gegeben, ihre Berichte und praktischen Erfahrungen im Internet zu veröffentlichen - ohne Spezialistentum und Vorkenntnisse. puk schafft Raum für Kommunikation und Erfahrungsaustausch, für Information und Solidarität. Eine internationale Vernetzung von Basisbewegungen gegen den Neoliberalismus über das Internet ist eine notwendige Voraussetzung für die Schaffung einer weltweit organisierten Gegenbewegung. puk stellt sich dieser Aufgabe und ist daran interessiert, über den Kongress hinaus zusammen mit anderen Initiativen und Internet-Projekten die notwendige Vernetzung fortzuführen.

In diesem Sinne ist auch das Engagement von puk vor dem Hintergrund zu betrachten, verschiedene politisch, kulturell und sozial engagierte Gruppen und Einzelpersonen zusammenzuführen und gemeinsam eine Idee weiterzuentwickeln, die die Solidarität, Freiheit und weltweite soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Dieser Prozess ist längst nicht abgeschlossen - er lebt von der Kritik und Kreativität all derer, die den Aufbau einer würdigen Zukunft für alle Menschen auf dieser Welt als ihren Sinn und Aufgabe begreifen.

Selbst wenn Details des Peters'schen Äquivalenz-Prinzips und die Idee des Neuen Historischen Projekts Fragen und Skepsis aufwerfen mögen - puk betrachtet sie als vorwärtsweisende Theorie, die nicht abgeschlossen ist, aber kreatives Potenzial freisetzen und wie ein Magnetfeld unkoordinierte Bewegung organisieren kann. puk wird nicht auf dem Standpunkt der Kritik und des Wartens verharren -

Denn: Warten ist das Gegenteil von "Bewegung". Und nur wer sich bewegt und aufsteht, kann sich widersetzen.

puk - Perspektive unabhängige Kommunikation, April 2000.

Öffentliche Vorbereitungstreffen für den Kongress 2000: Künftig finden jeden SONNTAG ab 20.00 Uhr im Restaurant Antalya, Kurze Geismar Straße in Göttingen.

Termin: 20. und 21. Mai 2000, zentrales Hörsaalgebäude (ZHG) der Georgia-Augusta-Universität Göttingen

Referent(inn)en: Hermann L. Gremliza (Hamburg) Prof. Dr. Arno Peters (Bremen) Prof. Dr. Maria Mies (Köln) Dr. Raimundo Franco Parellada (Kuba) Prof. Dr. Heinz Dieterich (Mexiko) Prof. Dr. Nildo Ouriques (Brasilien) puk - Perspektive unabhängige Kommunikation (Göttingen)

Kontakt und Anmeldung: Perspektive unabhängige Kommunikation c/o Blackbit Ernst-Ruhstrat-Strasse 6 37079 Göttingen Telefon: 0172 - 9619087 Telefax: 0551-050675-20 Infofon: 0551-5315450

http://www.kongress2000.de | http://www.puk.de | verein@puk.de
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Einleitung für das Ende des Globalen Kapitalismus.

Der Beginn des Neuen HistorischenProjekts.

Die vorliegenden Texte sind ein Vorschlag zur Debatte über die strukturelle, demokratisierende Reorganisation der globalen Gesellschaft des kommenden Jahrhunderts. In Anlehnung an die beiden großen politischen Projekte der Moderne - bürgerliche und sozialistische Gesellschaft - bezeichnen wir das Programm realer, teilhabender Demokratie und nicht-kapitalistischer Ökonomie als Neues Historisches Projekt (NHP).

Die Notwendigkeit eines Neuen Historischen Projekts ergibt sich aus der Unvollkommenheit und dem partiellen Scheitern beider genannter Versuche, das Zusammenleben ihrer Staatsbürger auf der Basis realdemokratischer gesellschaftlicher Verhältnisse zu organisieren. Insofern steht das NHP in der Kontinuität des gesellschaftlichen Kampfes der Neuzeit um die Verwirklichung der Rechte des Subjekts gegenüber den ausbeutenden und unterdrückenden Eliten der Klassengesellschaften. Da die Neuzeit ihre Genesis und vielfältige Verbundenheit mit der Geschichte der letzten Millennien jedoch weder verleugnen kann noch darf, stellt das Neue Historische Projekt, als globale Alternative zur gegenwärtigen planetarischen Unrechtsstruktur des Kapitals, das Erbe der gemeinsamen Vergangenheit der Menschheit dar.

Neu an den hier vorgelegten Arbeiten ist, daß sie das Niveau der Kritik und Diagnostik des globalisierten Neoliberalismus hinter sich lassen und zu einem konkreten Vorschlag über den kompliziertesten Aspekt der Reorganisierung der zukünftigen Weltgesellschaft übergehen: dem ökonomischen. Die politischen und kulturellen Probleme der globalen Gesellschaft, die auf realer, teilnehmender Demokratie basieren wird, lassen sich im Rahmen eines Neuen Historischen Projekts ohne unüberwindliche theoretische und konzeptionelle Schwierigkeiten darstellen. Das gleiche gilt jedoch nicht für den Aufbau einer Ökonomie, die fähig sein muß, die Bedürfnisse von (heute) sechs Milliarden Mitgliedern der Weltgesellschaft in gerechter und angemessener Weise zu befriedigen.

Der deutsche Historiker Arno Peters hat die intellektuelle Herausforderung angenommen, die Umrisse eines nicht-marktwirtschaftlichen, nicht-kapitalistischen Weltwirtschafts-Modells zu entwickeln, das imstande sein könnte, jene Aufgabe zu erfüllen. Die Qualifikation Peters', eine Aufgabe derartiger Komplexität in Angriff zu nehmen, ist evident in seinen bisherigen wissenschaftlichen Avantgardearbeiten.

In den letzten vierhundert Jahren ist es dem Historiker als einzigem gelungen, mit Unterstützung der UNESCO eine Weltkarte auszuarbeiten, die nicht Ausdruck des europäischen Weltbildes ist, also keine eurozentristischen Verzerrungen aufweist; diese "mapa mundi" ersetzt jene, die von dem deutschen Kartographen Mercator (Gerhard Kremer) 1569 entworfen wurde und seitdem in universellem Gebrauch gewesen ist.

Nach der Überwindung des eurozentristischen kartographischen Paradigmas, wiederholte Peters seine intellektuelle Großtat auf dem Gebiet der Weltgeschichte, deren eurozentristische Verzerrungen möglicherweise noch gravierender waren als jene der Kartographie. In seinem Werk "Die synchronoptische Weltgeschichte", entwickelte Peters ein neues universalgeschichtliches Paradigma, welches die "vierfache Verzerrung" des eurozentristischen Geschichtsbildes aufhebt und den Kulturen der Weltgeschichte Gerechtigkeit widerfahren läßt.

Das dritte bedeutende Paradigma, das der Bremer Wissenschaftler entwickelte, ist die sogenannte Peters-Notation, die auf der von Helmholtz entdeckten Schwingungskonvergenz die Schwingungsverhältnisse der Farben, denen der Töne entsprechend, dargestellt werden, wodurch die Töne unmittelbar von der Partitur auf das Instrument übertragen werden können.

Das hier präsentierte Essay, genannt "Das Äquivalenz-Prinzip als Grundlage der Global-Ökonomie", ist der Kern des vierten neuen Paradigmas von Peters, das das in der Aktualität dominierende ersetzen wird: das der kapitalistischen marktwirtschaftlichen National- Ökonomie und des Privateigentums. Peters teilt die Überzeugung anderer großer Wissenschaftler, von den Frühsozialisten über Marx bis Chomsky, daß eine marktwirtschaftliche Ökonomie unweigerlich zur Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, zur Polarisierung des sozialen Reichtums und zur Entfremdung des Subjekts führt. Und daß dies nicht "Ökonomie", also Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse durch die Umwandlung der Natur ist, sondern eher das, was Aristoteles als "Chrematistik" charakterisierte: die Perversion der Wirtschaft von einem bedürfnisbefriedigenden Subsystem der Gesellschaft (Polis) in eine Maschinerie der Gewinnerzielung auf Kosten der Mehrheit.

Das Prinzip der Chrematistik, das die nationalen Ökonomien dominiert und das zu Krieg, Piraterie und Raub geführt hat, ist für eine globale Ökonomie nicht praktikabel und wird durch das Äquivalenzprinzip in den ökonomischen Interaktionen ersetzt, was das Ende der privaten Monopolisierung der Produktionsmittel und der Produktion für den Markt bedeutet. Mit der Überwindung des Marktes durch eine Ökonomie, die theoretisch auf Arbeitswerten und technisch auf Computern basiert, wird die materielle Basis für das friedliche Zusammenleben der Weltbürger erstellt.

Peters' Essay stellt noch nicht eine fertige Theorie dar, sondern einen Leitfaden für Argumentation, zukünftige Forschung und politische Zusammenarbeit auf Weltebene, welche all jene einlädt, die am Aufbau des Neuen Historischen Projekts teilnehmen wollen.

Eines der großen Hindernisse in der Entwicklung des Neuen Historischen Projekts ist die verbreitete Unkenntnis über das machtvolle Instrument der Realitätsinterpretation, welches die moderne wissenschaftliche Erkenntnistheorie darstellt: von der Nuklearphysik über die Molekularbiologie bis zur Informatik. Das gemeinsame Essay mit Dr. Raimundo Franco - Leiter des Instituts für Kybernetik, Mathematik und Physik, in La Habana - über die objektiven Möglichkeiten und Grenzen jener spezifischen Organisation politischen Zusammenlebens, welche wir „Demokratie" nennen, ist ein erster Versuch, diese Problematik besser zu verstehen.

Die Demokratie als ein komplexes dynamisches System (KDS) interpretierend - oder alternativ, als Eigenschaft eines politischen Systems - zeigt uns die Erkenntnistheorie der fortgeschrittensten Naturwissenschaften die Notwendigkeit dialektischen Begreifens des Austausches von Energie, Information und Substanzen zwischen ökonomischen, politischen, kulturellen und militärischen Subsystemen der nationalen Gesellschaften einerseits und dem übergreifenden System der Weltgesellschaft andererseits. Zukünftige Forschungen müssen sich unter anderem richten auf die Substantivierung des Konzeptes Demokratie in der Triade von sozialer Gleichheit, formalpolitischer und realpolitischer Demokratie; die Spezifizierung und Erweiterung der allgemeinen Eigenschaften komplexer dynamischer Systeme für soziale Organisationen; die Dialektik von vorhersehbaren und unvorhersehbaren Ereignissen des Systemumfelds und ihrer Entsprechung in Kontroll- und Freiheitszonen innerhalb der sozialen Organisation, welche sich ihrerseits dialektisch durchdringen; den Widerspruch zwischen wachsender Komplexität der modernen Gesellschaft und ihrer Entwicklungsdynamik sowie überlieferten Führungssystemen aus der Feudalzeit und dem Industriekapitalismus, welche die Entwicklungskapazität des Systems blockieren; die Dialektik zentraler und dezentralisierter Systeme in der zukünftigen globalen Planwirtschaft sowie die Entmystifizierung des Marktes als kybernetisches System, welches angeblich selbst-regulativ außerhalb menschlicher Einflußmöglichkeiten operiert.

Carsten Stahmers Berechnung von achtundfünfzig Produktionsbereichen der BRD-Ökonomie des Jahres 1990 zu Arbeitswerten ist ein wichtiger Beitrag zur Frage der praktischen Möglichkeit, den Wertbildungsprozeß sowie das absolute Wertmaß erzeugter Güter und Dienstleistungen mittels der in ihnen direkt und indirekt enthaltenen Arbeitsstunden zu quantifizieren. Angeregt durch Arno Peters Essay, hat der Autor - der Chef der Division für Input-Output Analyse, Werte und Satellitensysteme beim Statistischen Bundesamt sowie Professor für Statistik an der Universität Heidelberg ist - mit seiner umfangreichen Studie auf der Grundlage monetärer Input-Output Tabellen nicht nur die mathematisch-operative Möglichkeit der praktischen Anwendbarkeit des Peters'schen Vorschlags näher an die Dimension der Realpolitik herangeführt, sondern gibt ebenfalls eine Reihe bedeutender Anregungen über eine notwendige Neubestimmung des Arbeits- und Produktionskonzeptes, des Kalküls staatlicher Dienstleistungen, der Abschreibungen sowie der Differenzierung von Arbeitsstunden gemäß ihrer Qualität.

Mein Essay über "Theorie und Praxis des Neuen Historischen Projekts" skizziert ein Raum-Zeit-Bewegungs-Netz zentraler gesellschaftlicher Kategorien wie Entfremdung, Ausbeutung, Herrschaft, politische Organisationsformen usw., welches erlaubt, den systematischen Ort des Neuen Historischen Projektes innerhalb der Kontinuität der demokratisierenden Projekte der Neuzeit (seit 1776/1789) zu bestimmen. Die Bestimmung des Neuen Historischen Projekts, als Zusammenfluß zentraler tausendjähriger Entwicklungstendenzen, ermöglicht zugleich seine gesetzmäßige Evolution für die Zukunft vorauszusehen. Um deterministischen und dogmatischen Mißverständnissen vorzubeugen, weise ich daraufhin, daß „gesetzmäßig" sich hier natürlich auf die Evolutionslogik probabilistischer, d.h. nicht-linearer Systeme bezieht; was andererseits in der Analyse sozialer Systeme auch nicht anders sein kann.

Zusätzliche Reflektionen über die Legitimität und Möglichkeit der Realisierung des Neuen Historischen Projekts, seine programmatischen Inhalte, die Rolle des kollektiven Subjekts emanzipatorischer Veränderung usf., komplettieren diese Diskussion.

Unser Vorschlag, ein programmatisches "Manifest der Demokratisierung der Globalen Gesellschaft" zu entwickeln - in der Kontinuität der Menschenrechtserklärungen des XVIII. Jahrhunderts und des Kommunistischen Manifests des XIX. - hat das Ziel, zur Konstituierung einer weltweiten realdemokratischen und antikapitalistischen Bewegung beizutragen. In dieser Funktion der Orientierung und des Zusammenführens richtet es sich an zwei große Gruppen der Weltgesellschaft: all jene, die der globale Neoliberalismus gesellschaftlich ausschließt oder für die in seinem totalitären Projekt kein Platz ist sowie an jene, die sich nicht durch bewußte oder unbewußte Teilhabe zu Komplizen eines anti-ethischen Projektes machen wollen. Es bedarf der kollektiven Anstrengung von Frauen und Männern, Intellektuellen und Arbeitern, gesellschaftlich und ethnisch Marginalisierten, ehrlichen Christen und allen Weltbürgern, die an der großen Aufgabe teilnehmen wollen, eine neue, gerechtere und demokratischere Weltgesellschaft aufzubauen. Möge dieser kleine Beitrag "in weltbürgerlicher Absicht" der erste Schritt zum Erreichen dieses Zieles sein.

Heinz Dieterich

Heinz Dieterich, Enrique Dussel, Raimundo Franco, Arno Peters, Carsten Stahmer, Hugo Zemelman, Das Ende des Globalen Kapitalismus, Das neue Historische Projekt, Horlemann, 2000

Kongress 2000 - Ende des globalen Kapitalismus, Das Neue Historische Projekt siehe auch: www.puk.de


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Emanzipation Humanum, Version 5. 00 , Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt, Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach Absprache möglich.

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